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Zuweilen glaubte man, die Barbaren kämen. Man hatte sie hinter dem Berge der Heißen

Wasser gesehen. Sie sollten bei Tunis lagern. Die Stimmen vervielfältigten sich, schwollen an und verschmolzen zu einem einzigen Schrei. Dann trat allgemeine Stille ein. Eine Menge Leute hockten auf den Dächern der Gebäude und spähten, die Hand über den

Augen, in die Weite, während andre am Fuße der Wälle platt auf dem Boden lagen und aufmerksam lauschten. Wenn der Schreck vorüber war, dann begann die Wut von neuem.

Aber das Bewußtsein ihrer Ohnmacht versenkte die Bevölkerung bald wieder in die alte Trübsal.

Die Niedergeschlagenheit nahm mit jedem Abend zu, wenn man allgemein auf den Terrassen stand und sich neunmal verneigte und die Sonne mit lautem Rufen grüßte. Sie sank langsam hinter der Lagune, bis sie dann mit einem Ruck in den Bergen, in der Richtung nach den Barbaren, verschwand.

Das dreimal heilige Fest stand bevor, bei dem ein Adler von der Höhe eines Scheiterhaufens zum Himmel emporflog, das Symbol der Erneuerung des Jahres, eine Botschaft des Volkes an den höchsten Gott, eine Feier, die man als eine Art von Bündnis, als Vermählung mit der Kraft der Sonne betrachtete. Übrigens wandte sich das haßerfüllte Volk jetzt abergläubisch dem menschenverschlingenden Moloch zu, und alle verließen Tanit. In der Tat schien die Mondgöttin, ihres Mantels beraubt, einen Teil ihrer Macht verloren zu haben. Sie versagte die Wohltat ihrer Gewässer, sie hatte Karthago verlassen.

Sie war eine Abtrünnige, eine Feindin. Manche warfen mit Steinen nach ihr, um sie zu beschimpfen. Doch während man sie arg schmähte, beklagte man sie gleichzeitig. Man liebte sie noch, inniger vielleicht als vordem.

Alles Unglück rührte unbedingt vom Verluste des Zaimphs her, und Salambo war mittelbar daran schuld. Der Groll richtete sich deshalb auch auf sie. Sie müsse bestraft werden! Alsbald lief der unbestimmte Gedanke einer Opferung im Volke um. Um die Götter zu versöhnen, müsse man ihnen offenbar einen Gegenstand von unschätzbarem Werte opfern, ein schönes, junges, jungfräuliches Geschöpf aus altem Hause, den Göttern entsprossen, einen Stern der Menschheit. Täglich drangen unbekannte Männer in die Gärten von Megara. Die Sklaven zitterten für ihr eigenes Leben und wagten ihnen keinen Widerstand zu leisten. Trotzdem gingen die Eindringlinge nicht über die Galeerentreppe hinaus. Sie blieben unten stehen und starrten hinauf nach dem hohen flacen Dache des Schlosses. Sie warteten auf Salambo und schrien stundenlang nach ihr wie Hunde, die den Mond anheulen.

10

Kapitel

Die Schlange

Das Pöbelgeschrei schreckte Hamilkars Tochter nicht. Sorgen beunruhigten sie. Ihre große Schlange, ein schwarzer Python, ward immer matter. Schlangen waren den Karthagern ein nationaler wie persönlicher Fetisch. Man hielt sie für Kinder des Urschlamms, weil sie aus den Tiefen der Erde kriechen und keiner Füße bedürfen, um auf ihr hinzuschleichen. Ihre Bewegung er- innerte an die Wellen im Strom, ihr kühler Körper an die schleimige, fruchtbare Urnacht, und der Kreis, den sie beschreiben, wenn sie sich in den Schwanz beißen, an die Gesamtheit der Planeten, an den Geist Eschmuns.

Salambos Schlange hatte schon öfters die vier lebendigen Spatzen verschmäht, die man

ihr bei jedem Vollmond und jedem Neumond brachte. Ihre schöne Haut, wie das Himmelsgewölbe mit goldnen Flecken auf tiefschwarzem Grund übersät, war jetzt gelb, welk, runzelig und für ihren Körper zu weit. Flockiger Schimmel sproß rings um ihren Kopf, und in den Winkeln ihrer Lider erblickte man flackernde kleine rote Punkte. Von Zeit zu Zeit trat Salambo an den aus Silberdraht geflochtenen Korb und hob den Purpurvorhang, die Lotosblätter und die Daunendecke auf, worunter die Schlange beständig in sich zusammengerollt lag, unbeweglicher als eine verdorrte Liane. Infolge des steten Hinsehens fühlte Salambo in ihrem eigenen Herzen einen Druck wie von einer Spirale, als ob sich eine zweite Schlange allmählich bis hinauf zur Kehle um sie winde und sie ersticke.

Sie war in Verzweiflung, daß sie den Zaimph gesehen hatte, und doch empfand sie eine

seltsame Freude darüber, einen geheimen Stolz. In den schimmernden Falten des heiligen Mantels war ein Geheimnis verborgen. Er war ein Symbol der Wolken, die die Götter umhüllen, das Mysterium des Weltalls. Salambo graute es vor sich selbst, aber sie bedauerte doch, den Mantel nicht hochgehoben zu haben.

Fast immer kauerte sie in einem Winkel ihres Gemachs, die Hände um ihr linkes Bein

geschlungen, mit halbgeöffnetem Munde, gesenktem Kinn und starrem Blick. Voll Entsetzen rief sie sich das Gesicht ihres Vaters ins Gedächtnis. Sie hätte in den Libanon Phöniziens zum Tempel von Aphaka pilgern mögen, wo Tanit in Gestalt eines Sternes auf die Erde gekommen war. Allerlei Vorstellungen lockten und schreckten sie. Überdies ward ihre Einsamkeit von Tag zu Tag größer. Sie wußte nicht einmal, was aus Hamilkar geworden war.

Schließlich ward sie des Grübelns müd. Sie erhob sich und schlürfte in ihren niedlichen Sandalen, deren Sohlen bei jedem Schritte gegen ihre Fersen klappten, durch das weite stille Gemach, immer hin und her, ohne Zweck und Sinn. Die Amethyste und Topase an

der Zimmerdecke warfen tausend zitternde Lichttupfen herunter. Im Gehen wandte Salambo den Kopf ein wenig nach oben, um sie zu betrachten. Sie betastete die aufgehängten zweihenkligen Steinkrüge an den Hälsen oder kühlte sich den Busen mit breiten Fächern oder vertrieb sich die Zeit damit, in hohlen Perlen Zimt zu verbrennen.

Wenn die Sonne unterging, nahm Taanach die schwarzen Filzläden aus den Fenstern weg.

Flugs kamen dann Salambos Tauben hereingeflattert, die mit Moschus eingerieben waren

wie die Tauben der Tanit, und ihre rosenroten Füßchen hüpften über die Glasfliesen der Diele zwischen den Gerstenkörnern hin, die sie ihnen mit vollen Händen hinstreute, wie ein Landmann den Samen auf ein Ackerfeld. Plötzlich aber brach sie in Schluchzen aus, und dann lag sie, ohne sich zu rühren, auf dem langen Ruhelager aus Rindsleder, lang hingestreckt, während sie immer ein und dasselbe Wort wiederholte, mit offnen Augen, totenblaß, kalt und empfindungslos … und doch hörte sie das Gekreisch der Affen draußen in den Palmenwipfeln und das unablässige Knarren des großen Rades, das durch

alle Stockwerke hindurch einen Strom reinen Wassers in ihre Porphyrwanne leitete.

Bisweilen weigerte sie sich tagelang, zu essen. Im Traume sah sie verschleierte Gestirne, die ihr zu Füßen tanzten. Sie rief Schahabarim; aber wenn er kam, wußte sie nicht mehr, was sie ihn fragen wollte.

Ohne den Trost seiner Gegenwart vermochte sie nicht zu leben. In ihrer tiefsten Seele freilich wehrte sie sich seiner Herrschaft. Sie empfand dem Priester gegenüber zugleich Furcht, Eifersucht, Haß und eine wunderliche Liebe, der Dankbarkeit entsprossen für die eigentümliche Wollust, die sie in seiner Nähe fühlte.

Er hatte erkannt, daß Salambo im Banne der Tanit stand, denn er wußte wohl Bescheid,

welche Götter die oder jene Krankheit sandten. Um Salambo zu heilen, ließ er ihr Gemach mit einer Essenz von Eisenkraut und Krullfarn besprengen. Jeden Morgen mußte sie Alraun einnehmen. Nachts schlief sie auf einem Säckchen wohlriechender Kräuter, die von den Oberpriestern gemischt worden waren. Schahabarim hatte sogar Baaras

angewandt, eine feuerrote Wurzel, mit der die bösen Geister nach Norden vertrieben werden. Zu guter Letzt murmelte er, gegen den Polarstern gewandt, dreimal den geheimnisvollen Namen der Tanit. Doch Salambo blieb leidend, und ihre Beklemmungen

wurden immer stärker.

Niemand in Karthago war so gelehrt wie Schahabarim. In seiner Jugend hatte er auf der Schule der Mogbeds zu Borsippa bei Babylon studiert, hatte dann Samöthrake, Pessinunt, Ephesus, Thessalien, Judäa besucht, die Tempel der Nabatäer, die halb verweht im Sande lagen, und er war zu Fuß an den Ufern des Nils von den Katarakten bis zum Meere hinabgepilgert. Vor der Brust des Sphinx, des Vaters des Schreckens, hatte er mit verschleiertem Antlitz, Fackeln schwingend, einen schwarzen Hahn auf einem

Sandarakfeuer geopfert. Er war in die Grotten der Proserpina hinabgestiegen. Er hatte die fünfhundert Säulen des Labyrinths auf Lemnos sich drehen und den Leuchter von Tarent

brennen sehen, der auf seinem Schafte so viele Lampen trug, als es Tage im Jahre gibt.

Nachts empfing er zuweilen Griechen, um von ihnen zu lernen. Die Weltordnung beunruhigte ihn nicht minder als das Wesen der Götter. Er hatte mit den Astrolabien im Portikus zu Alexandria die Äquinoktien beobachtet und hatte die Bematisten des Euergetes, die den Himmel durch Schrittzählungen ausmaßen, bis nach Kyrene begleitet.

Und so war in seiner Gedankenwelt eine besondere Religion erstanden, ohne feste Formeln, aber gerade deshalb voller Glut und Mystik. Den Glauben, daß die Erde wie ein Pinienapfel gestaltet sei, hatte er abgetan. Er hielt sie für rund, für eine Scheibe, die ewig falle, in die Unendlichkeit hinein, mit einer so fabelhaften Geschwindigkeit, daß man ihren Fall gar nicht gewahr wird.

Aus der Stellung der Sonne über dem Monde schloß er auf die Vorherrschaft des Sonnengottes, von dem die Sonne selbst nur Widerschein und Sinnbild war. Überdies zwang ihn alles, was er von irdischen Dingen beobachtete, zu der Erkenntnis, daß das vernichtende männliche Prinzip das höhere sei. Auch zieh er die Mondgöttin insgeheim der Schuld am Unglücke seines Lebens. Hatte ihn nicht ihretwegen der Oberpriester dereinst beim Schall der Zimbeln unter einer Schale siedenden Wassers der künftigen Mannheit beraubt? Schwermütig folgte sein Blick den Männern, die sich mit den heiligen Hetären der Tanit im Schatten der Terebinthenhaine verloren.

Seine Tage rannen dahin, während er die Räucherpfannen beaufsichtigte, die goldnen Gefäße, die Feuerzangen, die Harken vor dem Altar, die Gewänder der Götterbilder und dergleichen mehr, bis herab zu der Metallnadel, mit der das Haar eines alten Tanitbildes gekräuselt wurde, in der dritten Kapelle nahe dem Weinstock mit den Smaragden. Immer

zur nämlichen Stunde schlug er die breiten Vorhänge der nämlichen Türen zurück und ließ sie wieder fallen. In der nämlichen Haltung stand er mit ausgebreiteten Armen da oder lag betend auf den nämlichen Steinfliesen, während ein Schwarm von Priestern um ihn her barfuß durch die Gänge wallte, die in ewigem Dämmerlichte schlummerten.

In der Öde seines Lebens sah er Salambo wie eine Blume in der Spalte einer Gruft. Und doch war er streng gegen sie und ersparte ihr keine Buße und kein hartes Wort. Seine Geschlechtslosigkeit schuf zwischen ihr und ihm eine Art von Gleichheit. Er grollte der Jungfrau weniger, weil er sie nie besitzen konnte, als weil er sie so schön und vor allem so rein fand. Oft sah er wohl, wie es ihr schwer fiel, seinen Gedanken zu folgen. Dann ging er tieftraurig von ihr, und dann fühlte er sich ganz verlassen, einsam und leer.

Zuweilen entfuhren ihm seltsame Worte, die vor Salambo aufleuchteten wie gewaltige

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