Kaum war Taanach zurück, so stieg Salambo die Galeerentreppe hinunter.
»Herrin!« rief ihr die Amme nach.
Salambo wandte sich um und legte einen Finger auf den Mund, zum Zeichen, daß sie
schweigen und sich nicht rühren solle.
Taanach schlich leise an den Schiffsschnäbeln vorüber an das Geländer. Im Scheine des Mondes bemerkte sie unten in der Zypressenallee einen gigantischen Schatten, der schräg zur Linken von Salambo hinhuschte. Das mußte ein Vorzeichen des Todes sein!
Taanach lief in das Zimmer zurück. Dort warf sie sich lang hin, zerriß ihr Gesicht mit den Fingernägeln, raufte sich das Haar und stieß ein lautes, gellendes Geheul aus.
Dann aber kam ihr der Gedanke, man könne sie hören. Da ward sie still und schluchzte
nur noch ganz leise, den Kopf in die Hände und die Stirn auf den Boden gepreßt.
11
Kapitel
Im Zelte
Der Mann, der Salambo führte, ritt mit ihr in der Richtung nach der Totenstadt, erst bergauf, über den Leuchtturm hinaus, dann durch die langgestreckte Vorstadt Moluya mit ihren abschüssigen Gassen. Der Himmel begann hell zu werden. Balken aus Palmenholz,
die aus den Mauern herausragten, zwangen sie bisweilen, sich zu bücken. Obwohl die beiden Pferde im Schritt gingen, glitten sie doch oft aus. So gelangten sie endlich an das Tevester Tor.
Die schweren Torflügel standen halb auf. Die beiden ritten hindurch. Dann schloß sich das Tor hinter ihnen.
Zuerst zogen sie eine Zeitlang am Fuße der Festungswerke hin. Auf der Höhe der Zisternen angelangt, nahmen sie die Richtung nach der Taenia, einer schmalen Nehrung aus gelbem Sande, die den Golf vom Haff trennt und sich bis nach Rades erstreckte.
Kein Mensch war zu sehen, weder in Karthago, noch auf dem Meer oder in der Ebene.
Die schiefergraue Flut brandete leise, und der leichte Wind, der mit dem Schaum spielte, jagte weiße Flocken meerwärts. Trotz aller ihrer Kleider und Schleier fröstelte Salambo in der Morgenkühle. Die Bewegung und die frische Luft betäubten sie. Dann aber ging die
Sonne auf. Bald brannte sie ihr auf den Hinterkopf und machte sie schläfrig. Die beiden Pferde trotteten im Paß nebeneinander her. Ihre Hufe versanken lautlos im Sande.
Als sie den Berg der Heißen Wasser hinter sich hatten, wurde der Boden fester. Nun ritten sie in flotterer Gangart weiter.
Obwohl es die Zeit des Ackerns und Säens war, dehnten sich die Felder, soweit der Blick reichte, doch öde hin wie eine Wüste. An einzelnen Stellen lagen Haufen von Getreide unordentlich da. Anderswo fielen die Körner aus überreifen Ähren. Am hellen Horizont hoben sich Dörfer in losen, zackigen, schwarzen Umrissen ab.
Hin und wieder standen rauchgeschwärzte Mauerreste am Rande des Weges. Die
Dächer der Hütten waren eingestürzt, und im Innern sah man Topfscherben, Kleiderfetzen, allerlei Hausrat und Gegenstände zerbrochen und kaum noch kenntlich umherliegen. Oft
kroch ein in Lumpen gehülltes Wesen mit erdfahlem Antlitz und flammenden Augen aus
den Trümmern hervor, lief aber schleunigst wieder davon oder verschwand in irgendeinem Loche. Salambo und ihr Führer machten nirgends Halt.
Verödete Ebenen folgten einander. Weite Flächen hellgelben Bodens waren strichweise
mit Kohlenstaub bedeckt, der hinter den Hufen der Pferde aufwirbelte. Bisweilen kamen sie auch an friedsamen Stätten vorüber, wo ein Bach zwischen hohen Gräsern rann; und wenn sie am andern Ufer wieder hinaufritten, riß Salambo feuchte Blätter ab, um sich die Hände damit zu kühlen. An der Ecke eines Oleandergebüsches machte ihr Pferd einmal einen großen Satz vor dem Leichnam eines Mannes, der am Boden lag.
Der Sklave setzte sie sofort wieder auf ihrem Sattelkissen zurecht. Er war einer von den
Tempeldienern, ein Mann, den Schahabarim gelegentlich zu gefährlichen Sendungen gebrauchte.
Der Sicherheit halber lief er fortan zu Fuß zwischen den Pferden neben Salambo hin und trieb die Tiere mit dem Ende eines um den Arm geschlungenen Lederriemens an.
Mitunter entnahm er einem an seiner Brust hängenden Körbchen kleine Kügelchen, die aus Weizen, Datteln und Eidotter bereitet und in Lotosblätter gewickelt waren. Er reichte sie Salambo im Gange, ohne ein Wort zu sagen.
Gegen Mittag kreuzten drei mit Tierfellen bekleidete Barbaren ihren Weg. Nach und nach tauchten noch andre auf. Sie streiften in Trupps von zehn, zwölf bis fünfundzwanzig Mann herum. Manche trieben eine Ziege oder eine lahme Kuh. Ihre schweren Stöcke waren mit Eisenspitzen versehen. Große Messer blitzten unter ihren verwahrlosten, schmutzigen Kleidern. Sie rissen die Augen auf, halb drohend, halb verblüfft. Im Vorüberziehen riefen die einen den alltäglichen Gruß, andre zweideutige Scherzworte aus, und Salambos Begleiter antwortete einem jeden in seiner Sprache. Manchen erzählte er, er begleite einen kranken Knaben, der zu seiner Heilung nach einem fernen Tempel wallfahre.
Inzwischen ward es Abend. Fern erscholl Hundegebell. Sie ritten darauf zu.
Im Dämmerschein erblickten sie eine Umfriedung aus lose aufgehäuften Steinen um ein
fragwürdiges Gebäude herum. Ein Hund lief auf dem Geröll hin. Der Sklave verjagte ihn mit ein paar Steinwürfen. Sie traten in ein geräumiges Gewölbe.
Mitten darin hockte eine Frau und wärmte sich an einem Reisigfeuer, dessen Rauch durch Löcher in der Decke abzog. Ihr weißes Haar, das ihr bis auf die Knie herabreichte, verbarg sie zur Hälfte. Sie wollte keine Antwort geben und murmelte mit blöder Miene Verwünschungen gegen die Karthager wie gegen die Barbaren.
Der Läufer stöberte rechts und links herum. Dann trat er wieder zu der Alten und forderte etwas zu essen. Sie schüttelte den Kopf und murmelte, in die Kohlen starrend:
»Ich war die Hand… . Die zehn Finger sind abgeschnitten… . Der Mund ißt nicht mehr… .«
Der Sklave zeigte ihr eine Handvoll Goldstücke. Die Alte stürzte sich darüber her, nahm aber alsbald ihre unbewegliche Haltung wieder an.
Da setzte er ihr den Dolch, den er im Gürtel trug, an die Kehle. Alsbald schickte sie sich zitternd an, einen großen Stein aufzuheben. Schließlich brachte sie eine Amphora voll Wein, dazu in Honig eingemachte Fische herbei, die aus Hippo-Diarrhyt bezogen waren.
Salambo wies diese unreine Speise von sich und schlief auf den Pferdedecken ein, die