Die Wissenschaft ist in der Tat ein sehr nützliches und wichtiges Stück. Diejenigen, welche sie verachten, geben ihre Dummheit genugsam zu erkennen. Dennoch aber schätze ich sie nicht so übermäßig hoch, als einige tun, unter welche der Philosoph Herill2 gehört, der das höchste Gut in ihr suchte und behauptete, sie könnte uns weise und vergnügt machen. Ich glaube dieses ebenso wenig als das, was andere gesagt haben, daß die Wissenschaft die Mutter aller Tugenden sei, und daß alle Laster von der Unwissenheit herkämen. Wenn dieses wahr ist, so braucht es einer weitläuftigen Erklärung. Mein Haus ist seit langer Zeit gelehrten Leuten offen und deswegen im Rufe gewesen. Denn mein Vater, der dasselbe fünfzig Jahre und drüber regiert hat und durch den neuen Eifer angefeuert wurde, mit welchem sich der König Franciscus I. der Wissenschaften annahm und sie in Ansehen brachte, suchte gelehrter Leute Umgang sehr emsig und mit großen Kosten. Er nahm sie als heilige Leute, die eine besondere Eingebung von der göttlichen Weisheit hätten, zu sich, sammelte ihre Urteile und Reden wie Göttersprüche, und dieses desto ehrerbietiger und eifriger, je weniger er davon urteilen konnte: Denn er hatte, sowenig als seine Vorfahren einige Kenntnis von den Wissenschaften. Ich meines Teils liebe sie zwar, ich bete sie aber nicht an. Unter anderem beschenkte ihn einmal Peter Bunel, ein Mann, der zu seiner Zeit wegen seiner Gelehrsamkeit in großem Rufe stand, als er sich nebst anderen seinesgleichen einige Tage bei meinem Vater zu Montagne aufgehalten hatte, bei seinem Abschiede mit einem Buche, welches den Titel hat: Theologia naturalis; sive, Liber creaturarum Magistri Raimondi de Sebonde. Weil die italienische und spanische Sprache meinem Vater geläufig waren und dieses Buch in einem gebrochenen Spanischen mit lateinischen Endungen geschrieben ist, so hoffte er, daß sich mein Vater dasselbe mit ganz geringer Beihilfe zu Nutzen machen könnte, und empfahl es ihm als ein bei den damaligen Zeitläuften sehr nützliches und nötiges Buch. Damals fingen eben Luthers Neuerungen in Ansehen zu kommen und an vielen Orten unseren alten Glauben wankend zu machen, an. Er hatte also dabei eine sehr gute Absicht, weil er aus vernünftigen Gründen wohl voraussah, daß dieses Übel mit der Zeit leichtlich in eine abscheuliche Gottesleugnung ausschlagen könnte. Denn der Pöbel ist nicht fähig, die Sachen nach ihrer wahren Beschaffenheit zu beurteilen, sondern läßt sich durch das Glück und den äußerlichen Schein dahinreißen. Wenn man ihm also nur einmal die Freiheit verstattet, diejenigen Meinungen, vor welchen er sonst die größte Ehrfurcht gehabt hat - dergleichen diejenigen sind, auf welchen seine Seligkeit beruht -, zu verachten und zu tadeln, und wenn man nur einmal einige von seinen Glaubensartikeln zweifelhaft und streitig gemacht hat, so sieht er gar bald alle übrige Stücke seines Glaubens für ebenso ungewiß an, weil sie ebenso wenig Gewicht und ebenso wenig Grund bei ihm haben als diejenigen, die man wankend gemacht hat. Er wirft alle Eindrücke, welche das Ansehen der Gesetze oder die Ehrerbietung für die alten Gebräuche bei ihm gemacht hatten, als ein tyrannisches Joch von sich:
Nam cupide conculcatur nimis ante metutum3.
Er geht alsdenn gleich weiter und will gar nichts mehr annehmen, wenn er nicht seinen Bescheid und seine Stimme dazu gegeben hat. Mein Vater fand gedachtes Buch etliche Tage vor seinem Tode ungefähr unter einem Haufen anderer beiseite gelegter Papiere und befahl mir, ihm dasselbe ins Französische zu übersetzen. Schriftsteller wie dieser, bei denen man nichts als den Inhalt auszudrücken hat, sind sehr gut zu übersetzen; hingegen ist es ein sehr gefährliches Unternehmen, wenn sie sich der Annehmlichkeit und Zierlichkeit der Sprache sehr befleißigt haben, besonders, wenn man sie in eine schwächere Sprache bringen soll. Diese Beschäftigung war mir etwas Ungewohntes und Neues; allein, zu gutem Glücke hatte ich damals nichts zu tun, und machte es, weil ich dem besten Vater, der jemals gewesen ist, nichts abschlagen konnte, so gut es mir möglich war. Er schöpfte hierüber ein besonderes Vergnügen und befahl, daß man es drucken lassen sollte; welches auch nach seinem Tode vollzogen wurde4. Ich fand die Gedanken dieses Schriftstellers schön, in dem Werke selbst einen guten Zusammenhang und das Unternehmen voller Gottesfurcht. Da sich viele Leute, und besonders das Frauenzimmer, dem wir am meisten zu dienen verbunden sind, mit dem Lesen dieses Buches beschäftigen, so habe ich öfters Gelegenheit gehabt, ihnen zu Hilfe zu kommen und ihr Buch wider zwei Haupteinwürfe, die man dagegen macht, zu verteidigen. Der Endzweck desselben ist kühn und herzhaft.
Der Verfasser untersteht sich, alle Artikel der christlichen Religion durch menschliche und natürliche Gründe wider die Atheisten zu bestätigen und festzusetzen. Er tut dieses auch, die Wahrheit zu sagen, so stattlich und so glücklich, daß es meines Erachtens in diesem Stücke nicht besser gemacht werden kann: ja, ich glaube, daß es ihm niemand gleich getan hat5. Dieses Werk kam mir für einen Verfasser, dessen Name so wenig bekannt ist und von dem wir bloß so viel wissen, daß er ein Spanier gewesen und ungefähr vor zweihundert Jahren zu Toulouse die Arzneikunst getrieben hat, allzu schön und gelehrt vor. Ich erkundigte mich daher einmal bei dem Adrian Turnebus, der alles wußte, was es mit diesem Buche für eine Beschaffenheit hätte. Er antwortete mir, seiner Meinung nach wäre es eine Quintessenz aus dem hl. Thomas von Aquino. Denn in der Tat, dieser mit einer so unendlichen Gelehrsamkeit und wundernswürdigen Tiefsinnigkeit begabte Geist war allein zu dergleichen Gedanken fähig. So viel ist gewiß, daß der Verfasser und Erfinder, er sei wer er wolle (indessen kann man dem Sebonde dieses Werk ohne eine wichtigere Ursache nicht mit Grunde absprechen), ein überaus geschickter Mann gewesen ist und viele treffliche Eigenschaften besessen hat.
Der erste Vorwurf, den man seinem Werke macht, ist dieser, die Christen täten sich selbst Schaden, wenn sie ihre Religion durch menschliche Gründe unterstützen wollten, weil diese allein durch den Glauben und durch einen besondern Beistand der göttlichen Gnade begriffen würde. Dieser Einwurf scheint von einem heiligen Eifer her zu kommen. Aus dieser Ursache müssen wir denjenigen, welche ihn vortragen, mit desto mehr Sanftmut und Achtung Genüge zu tun suchen. Dieses Unternehmen würde sich freilich besser für einen in der Gottesgelahrheit bewanderten Mann als für mich schicken, weil ich davon nichts verstehe. Ich meines Teils bin allerdings der Meinung, bei einer so göttlichen, so hohen und den menschlichen Verstand so weit übersteigenden Sache, wie diejenige Wahrheit ist, von welcher uns die Güte Gottes einiges Licht hat geben wollen, sei es sehr nötig, daß er uns noch ferner durch eine außerordentliche und besondere Gnade Beistand verleiht, damit wir dieselbe begreifen und ihr in uns Raum geben können. Ich glaube auch nicht, daß die bloß menschlichen Mittel hierzu im geringsten zureichend sind: denn, wenn sie dieses wären, so würden so viel seltene und vortreffliche und mit allen natürlichen Gaben reichlich versehene Seelen in den alten Zeiten gewiß durch ihre Vernunft zu dieser Erkenntnis gelangt sein. Der Glaube allein faßt die hohen Geheimnisse unserer Religion freudig und zuversichtlich. Allein, dies ist nicht so zu verstehen, als ob es nicht eine sehr schöne und sehr lobenswürdige Unternehmung wäre, wenn man auch die natürlichen und menschlichen Werkzeuge, die uns Gott gegeben hat, zum Dienste unseres Glaubens anwendet. Ohne Zweifel können wir sie nicht herrlicher anwenden. Ja, keine Beschäftigung und kein Vornehmen kann einem Christen anständiger sein, als wenn alles sein Studieren und Denken auf die Verschönerung, Erweiterung, und Bestärkung der Wahrheit seines Glaubens abzielt. Wir begnügen uns nicht, Gott im Geiste und mit der Seele zu dienen. Wir sind ihm überdies noch eine leibliche Verehrung schuldig und erzeigen ihm auch dieselbe. Wir wenden sogar unsere Glieder, unsere Bewegungen, und die äußerlichen Dinge zu seiner Ehre an. Ebenso müssen wir es hier auch machen und unseren Glauben mit aller in uns befindlichen Vernunft vergesellschaften, aber beständig mit dieser Einschränkung, daß wir nicht glauben, unsere Kräfte und Beweisgründe könnten eine so übernatürliche und göttliche Wissenschaft erreichen. Wenn sie uns nicht durch eine außerordentliche Eingebung zu Teile wird, wenn wir sie nicht allein durch die Vernunft, sondern noch überdies durch menschliche Mittel erlangen, so besitzen wir sie nicht in ihrer wahren Hoheit und in ihrem völligen Glanze. Und gewiß, ich befürchte immer, wir möchten sie bloß durch diesen leztern Weg erhalten haben. Wenn wir Gott vermittelst eines lebendigen Glaubens anhingen, wenn wir Gott durch seinen Trieb, und nicht aus eigenem Triebe anhingen, wenn wir durch göttlichen Beistand festen Fuß und Grund hätten: so würden uns die menschlichen Zufälle nicht so, wie sie es wirklich tun, wankend machen. Wir würden uns nicht auf einen so schwachen Angriff ergeben. Die Liebe zur Neuerung, die Gewalttätigkeit der Fürsten, das gute Glück einer Partei, die vermessene und ungefähre Veränderung unserer Meinungen würden unseren Glauben nicht erschüttern und ändern können. Wir würden uns durch einen neuen Beweisgrund und durch das Zureden aller Redekunst, die jemals gewesen ist, darinnen nicht stören lassen. Wir würden diese Wellen mit einer festen und unbeweglichen Standhaftigkeit aushalten.
Illisos fluctus rupes ut vasta refundit,
Et varias circum latrantes dissipat undas
Mole sua6.
Wenn dieser Strahl der Gottheit uns einigermaßen rührte, so würde sich dieses bei uns allen zeigen. Nicht allein unsere Worte, sondern auch unsere Handlungen würden dadurch Schimmer und Glanz bekommen. Man würde alles, was von uns herkäme, von diesem edlen Lichte erleuchtet sehen. Wir sollten uns schämen, wenn wir bedenken, daß niemals ein Anhänger einer menschlichen Sekte gewesen, der, wenngleich seine Lehre noch so schwere und widersinnige Sachen in sich gehalten, seine Aufführung und sein Leben nicht einigermaßen darnach eingerichtet hat; und daß eine so göttliche und himmlische Unterweisung die Christen durch nichts als durch ihre Sprache kenntlich macht. Will man dieses sehen? Man vergleiche nur einmal unsere Sitten mit den Sitten eines Mahomedaners oder eines Heiden. Wir werden immer den Kürzeren ziehen, anstatt daß wir uns wegen des Vorzugs unserer Religion ganz ausnehmend und unvergleichlich vor ihnen hervortun sollten, damit es hieße: Sie sind so gerecht, sie sind so liebreich, sie sind so gütig! Sie sind also gewiß Christen. Alles übrige scheinbar haben alle Religionen miteinander gemeinschaftlich: Hoffnung, Vertrauen, Begebenheiten, Zeremonien. Bußübungen, Märtyrer. Das besondere Kennzeichen unserer Wahrheit sollte unsere Tugend sein, gleichwie sie auch das himmlische und schwerste Kennzeichen und die herrlichste Frucht der Wahrheit ist. Demnach tat weiland unser König Ludwig der Heilige Recht, daß er einen Tartarischen König, der ein Christ geworden, und willens war nach Lyon zu gehen, um dem Papst die Füße zu küssen und daselbst diejenige Heiligkeit zu sehen, die er in unseren Sitten zu finden hoffte, inständigst davon abmahnte7, aus Furcht unsere ausgelassene Lebensart möchte ihm vielmehr einen so heiligen Glauben zuwider machen. Indessen ereignete sich doch nachgehends einmal gerade das Gegenteil bei einem anderen, der in eben dieser Absicht nach Rom gegangen war, und als er daselbst das liederliche Leben der Prälaten und des damaligen Volks sah8, desto mehr in unserer Religion bestärket wurde, weil er überlegte, wie viel Stärke und Göttlichkeit sie besitzen müßte, da sie ihre Hoheit und ihren Glanz unter einem so großen Verderbnisse und unter so gottlosen Händen erhielte. Wenn wir nur einen einzigen Tropfen Glauben hätten, so würden wir, sagt das Wort Gottes, Berge von ihrer Stelle bewegen können. Unsere von der Gottheit geleiteten und begleiteten Handlungen, würden alsdenn nicht bloß menschliche Handlungen sein, sondern, ebenso wie unser Glaube, etwas Wunderbares an sich haben - Brevis est institutio vitae honestae beataeque, si credas9. Einige bereden die Welt, daß sie etwas glauben, was sie wirklich nicht glauben. Andere aber, und zwar die meisten, überreden sich dieses selbst, weil sie nicht ergründen können, was glauben heißt.
Es befremdet uns, wenn wir in den Kriegen, welche jetzt unser Reich beunruhigen, sehen, daß das Glück, wie gemeiniglich und ordentlich, unbeständig und abwechselnd ist. Dies kommt daher, daß wir nichts als das unsrige dabei tun. Die Gerechtigkeit, welche bei einer Partei ist, dient nur zur Zierde und zum Deckmantel. Diese führt sie zwar an, nimmt sie aber nicht auf, beherbergt sie nicht und verbindet sich nicht mit ihr. Die Gerechtigkeit ist daselbst wie in dem Munde eines Sachwalters, nicht wie in dem Herzen der Partei. Gott ist seinen außerordentlichen Beistand dem Glauben und der Religion, nicht aber unseren Leidenschaften schuldig.
Die Menschen sind in diesen Kriegen Anführer und bedienen sich dabei der Religion: gleichwohl sollte es gerade umgekehrt sein. Gebe einer einmal acht, ob wir nicht aus ihr machen, was wir wollen. Wann hat man so viele einander zuwider laufende Figuren, nicht anders als wenn sie wächsern wären, nach einer so geraden und so festen Richtschnur ziehen sehen, als jetziger Zeit in Frankreich? Sowohl diejenigen, welche sie links, als diejenigen, welche sie rechts angreifen, sowohl die, welche sie schwarz machen, als die, welche sie weiß brennen, bedienen sich ihrer zu ihren gewalttätigen und ehrgeizigen Unternehmungen auf eine so ähnliche Weise und sind einander an Ausschweifungen und Ungerechtigkeit so gleich, daß es zweifelhaft und schwer zu glauben wird, daß sie ihrem Vorgeben nach von derjenigen Sache, auf welcher die Einrichtung und Verfassung unseres Lebens beruht, verschiedene Meinungen hegen sollen. Kann man wohl von einerlei Schule und von einerlei Unterricht ähnlichere und gleichförmigere Sitten erwarten? Man sehe nur, mit was für einer erschrecklichen Unverschämtheit wir auf die göttlichen Wahrheiten hineinstürmen; und wie frech wir sie bald verworfen, bald wieder angenommen haben, je nachdem uns das Glück bei diesen allgemeinen Stürmen bald hie bald dahin geschmissen hat! Man erinnere sich nur, was für Leute den berüchtigten Satz: Ob sich ein Untertan zur Verteidigung der Religion wider seinen Landesherrn empören und bewaffnen dürfe, noch das abgewichene Jahr bejaht und denselben als die Stütze einer Partei im Munde geführt, und was für eine Partei die Verneinung desselben zur Stütze gebraucht hat. Nun höre man aber gegenwärtig10, was beide Parteien jetzt für eine Sprache führen, und ob die Waffen auf einer Seite weniger Geräusch machen als auf der anderen. Wir verbrennen diejenigen, welche sagen, die Wahrheit müsse sich unter das Joch unserer Notdurft schicken: und macht es nicht Frankreich viel ärger, als wenn es dieses sagte? Laßt uns die Wahrheit gestehen: Wer in dem Kriegsheere sogar der gerechten Partei diejenigen aussuchen wollte, die bloß aus gottseligem Eifer zu Felde ziehen, und ferner diejenigen, die bloß auf die Verteidigung ihrer Landesgesetze oder auf den Dienst ihres Landesherren sehen, würde kaum eine vollständige Kompagnie Soldaten herausbringen. Woher kommt es, daß man so wenig Leute findet, die bei unseren öffentlichen Unruhen einerlei Neigung und einerlei Bezeigen beobachtet haben; und daß wir sie bald nur ihren ordentlichen Schritt gehen, bald aber in vollem Rennen laufen sehen? Ja, woher kommt es, daß einerlei Leute unsere Sachen bald durch ihre Gewalttätigkeit und Strengigkeit, bald aber durch ihre Kaltsinnigkeit, Gelindigkeit und Trägheit verderben? Woher kommt dieses, sage ich, als daher, daß sie durch besondere und zufällige Absichten dazu angetrieben werden, nach deren Verschiedenheit sie sich auch verschiedentlich bewegen.
Ich sehe es augenscheinlich, daß sich meistenteils unsere Andacht nur durch solche Pflichten äußert, die unseren Leidenschaften schmeicheln. Keine Feindseligkeit ist ausnehmender, als die christliche. Unser Eifer tut Wunder, wenn er unsere Neigung zum Hass, zur Grausamkeit, zur Ehrbegierde, zum Geiz, zur Lästerung und zum Aufruhr befördert. Gegenteils aber will es gar nicht fort, wenn er sich durch Guttätigkeit und Mäßigung zeigen soll, und ihn nicht eine seltene Gemütsbeschaffenheit als wie durch ein Wunderwerk dazu antreibet. Unsere Religion ist die Laster auszurotten gestiftet: allein sie bahnet ihnen den Weg, unterhält, und reizet sie. Man darf Gott keinen strohernen Bart machen, wie man im Sprichworte sagt. Wenn wir ihn glaubten, ich sage nicht mit einem wahrhaftigen, sondern nur mit einem gemeinen Glauben, ja, und ich sage es zu unserer großen Schande, wenn wir ihn so glaubten und erkannten, wie eine andere Sache oder wie einen von unseren guten Freunden, so würden wir ihn wegen der unendlichen Güte und Schönheit, die an ihm hervorleuchtet, über alle Dinge lieben. Zum wenigsten würde er unsere Zuneigung mit den Reichtümern, den Ergötzlichkeiten, der Ehre und unseren guten Freunden teilen. Allein, der beste unter uns scheuet sich nicht so sehr ihn zu beleidigen, als er sich seinen Nachbarn, seinen Anverwandten, seinen Herrn zu beleidigen scheuet. Ist einer wohl so einfältig, daß er, wenn er auf einer Seite eine von unseren lasterhaften Belustigungen vor Augen hätte und auf der anderen ebenso gut von dem Zustande einer ewigen Herrlichkeit überzeugt wäre, eines gegen das andere vertauschen sollte? Und dennoch begeben wir uns desselben aus bloßer Verachtung. Denn, was für eine Lust reizet uns zur Gotteslästerung an, wenn es nicht etwa selbst die Lust ist, die wir an der Beleidigung finden? Als man den Philosophen Antisthenes zu den Geheimnissen des Orpheus einweihte und der Priester zu ihm sagte, daß diejenigen, die sich diesem Dienste widmeten, nach ihrem Tode ewige und vollkommene Güter zu hoffen hätten, fragte er denselben11: Warum stirbst du denn also nicht selbst, wenn du dieses glaubest? Diogenes antwortete seiner Art nach ungestümmer und nicht so geschickt zu unserer gegenwärtigen Materie dem Priester, der ihm ebenfalls vorpredigte, daß er zu seinem Orden übertreten sollte, damit er dadurch die Güter der zukünftigen Welt erlangte12: Willst du mich bereden, daß Agesilaus und Epaminondas, die so großen Männer, werden dereinst elend, und du armer Schöps hingegen, ungeacht du nichts taugliches tust, wirst glücklich sein, weil du ein Priester bist? Wenn die großen Verheißungen von der ewigen Seligkeit nur ebenso viel bei uns gälten, als eine philosophische Betrachtung, so würden wir uns nicht so sehr vor dem Tode entsetzen, als wir wirklich tun.
Non iam se moriens dissolvi conquereretur
Sed magis ire foras, vestemque relinquere ut anguis
Gauderet, praelonga senex aut cornua cervus13.
Wir würden sagen14: Ich habe Lust abzuscheiden und bei Jesu Christo zu sein. Die Stärke des Platonischen Gespräches von der Unsterblichkeit der Seelen trieb einige seiner Zuhörer zum Tode an, damit sie desto geschwinder der Hoffnung, die er ihnen machte, teilhaftig werden möchten. Alles dieses ist ein sehr deutliches Zeichen, daß wir unsere Religion bloß nach unserer Art und mit unseren Händen, und nicht anders annehmen, als die anderen Religionen ergriffen werden. Wir befinden uns in einem Lande, wo sie eingeführt ist; oder sehen auf ihr Altertum, oder auf das Ansehen der Menschen die sie unterstützt haben; oder fürchten uns vor denen den Ungläubigen gedrohten Strafen; oder gehen ihren Verheißungen nach. Diese Betrachtungen müssen zwar bei unserem Glauben, aber doch nur als Nebengründe zu Hilfe gezogen werden: dieses sind bloß menschliche Verbindungen. Ein anderes Land, andere Zeugen, ähnliche Verheißungen und Drohungen könnten uns durch eben den Weg einen ganz widrigen Glauben beibringen. Wir sind mit eben dem Rechte Christen, mit welchem wir Gasconier oder Deutsche sind. Das, was Platon sagte, daß wenig Leute in der Gottesleugnung so hartnäckig wären, daß sie nicht eine augenscheinliche Gefahr wieder zur Erkenntnis der göttlichen Macht brächte, findet bei einem wahren Christen gar nicht statt. Nur sterbliche und menschliche Religionen werden durch eine menschliche Anführung angenommen. Was für einen Glauben können die Feigheit und Schwäche des Herzens in uns pflanzen und gründen? Ein artiger Glaube, der das, was er glaubt, nur deswegen glaubt, weil er das Herz nicht hat, dasselbe nicht zu glauben. Kann denn eine fehlerhafte Leidenschaft, dergleichen die Unbeständigkeit und das Erschrecken sind, eine ordentliche Wirkung in unserer Seele hervor bringen? Sie behaupten, sagt Platon15, aus Vernunftgründen, daß dasjenige, was man von der Hölle und den zukünftigen Strafen erzählt, erdichtet sei: allein, wenn sich die Gelegenheit dasselbe zu erfahren zeigt, und wenn sie das Alter oder die Krankheiten näher zu ihrem Tode führen, erfüllet sie die Furcht vor dem Tode durch das Schrecken über ihren künftigen Zustand mit einem neuen Glauben. Und weil dergleichen Vorstellungen die Gemüter furchtsam machen16, so verbietet er in seinen Gesetzen dergleichen Drohungen zu brauchen oder jemand zu bereden, daß dem Menschen von den Göttern ein Leid widerfahren könne, es geschähe denn zu seinem größten Nutzen und so, daß es ihm gleichsam zu einer Arznei dienet. Man erzählt vom Bion, daß er Theodors atheistische Meinungen eingesogen und lange Zeit gottesfürchtige Leute verlacht habe; daß er aber, als ihn der Tod überfallen, höchst abergläubisch17 geworden sei: gerade, als wenn sich die Götter18, je nachdem sie Bion brauchte, abschaffen und wieder annehmen ließen. Platon und diese Beispiele zeigen, daß wir entweder durch die Vernunft, oder mit Gewalt einen Gott zu glauben gezwungen werden. Da die Gottesleugnung in einem Satze besteht, der nicht nur widernatürlich und ungeheuer, sondern auch schwer und dem menschlichen Gemüte, so frech und unordentlich es auch immer sein mag, nicht leicht beizubringen ist, so haben sich Leute genug gefunden, die aus Eitelkeit und Übermut Gottesleugner haben vorstellen wollen, damit es das Ansehen hätte, als ob sie ungemeine Meinungen begreifen könnten und die ganze Welt zu bessern geschickt wären. Indessen, wenn sie gleich närrisch genug sind, daß sie dieselbe ihrem Gewissen eingeprägt haben, so sind sie doch nicht stark genug. Sie werden dennoch ihre Hände gefalten gen Himmel heben, wenn sie einen guten Stoß mit dem Degen in die Brust bekommen. Sie werden ganz gewiß sich anders besinnen und ganz bescheiden dem gemeinen Glauben und den gemeinen Beispielen folgen, wenn die Furcht oder die Krankheit die ausschweifende Hitze eines flatterhaften Gemüts niedergeschlagen und gedämpfet haben wird. Anders verhält es sich mit einem ernstlich überlegten Lehrsatze, anders mit diesen leichtsinnigen Einfällen, die ihren Ursprung von der Unordnung eines ausgelassenen Gemüts haben und in der Einbildungskraft unordentlich herum schwimmen. Elende und rasende Menschen, die sich ärger zu sein bemühen, als sie sein können!
Der heidnische Irrtum und die Unwissenheit unserer heiligen Wahrheit hat verursacht, daß diese große Seele 19, die aber doch nur eine menschliche Größe besessen hat, noch in einen anderen mit dem ersten nahe verwandten Irrtum gefallen ist, daß sich nämlich die Kinder und die Alten am besten zur Religion schickten, gerade als ob sie ihren Ursprung und ihr Ansehen von unserer Schwachheit hätte. Das Band, welches unseren Verstand und Willen binden, welches unsere Seele mit unserm Schöpfer verknüpfen und vereinigen sollte, sollte billig seine Festigkeit und Stärke nicht von unseren Vorstellungen, von unseren Gründen und Leidenschaften, sondern von einer göttlichen und übernatürlichen Verknüpfung haben; es sollte nur einerlei Gestalt, einerlei Ansehen und einerlei Glanz haben, welches die Macht Gottes und seine Gnade ist. Wenn nun der Glaube unser Herz und unsere Seele einmal regiert und lenkt, so ist es natürlich, daß er alle unsere übrigen Kräfte, jede nach ihrer Beschaffenheit, zur Erhaltung seines Endzweckes anwendet.
Es ist auch nicht glaublich, daß dieser ganzen Maschine nicht hie und da einige Kennzeichen von der Hand des großen Baumeisters sollten eingeprägt worden sein; und daß sich in den Dingen der Welt nicht ein dem Werkmeister, der dieselben gebaut und gebildet hat, einigermaßen ähnliches Bild finden sollte. Er hat allerdings den Charakter seiner Gottheit in diesen großen Werken hinterlassen, und es liegt bloß an unserer Schwachheit, daß wir denselben nicht wahrnehmen. Er selbst sagt es uns, daß er uns seine unsichtbaren Wirkungen durch die sichtbaren offenbart. Sebonde hat sich diese edle Untersuchung angelegen sein lassen und zeigt uns, daß kein einziges Stück in der Welt seinen Werkmeister verleugnet. Die göttliche Güte würde dadurch verletzt werden, wenn nicht das Weltgebäude mit unserm Glauben übereinstimmte. Der Himmel, die Erde, die Elemente, unser Leib und unsere Seele, alle Dinge kommen darinnen überein. Wir müssen nur ein Mittel finden, uns derselben zu bedienen. Sie lehren uns, wenn wir nur imstande sind, sie zu verstehen. Diese Welt ist ein sehr heiliger Tempel, in welchen der Mensch hinein geführt wird, daß er die darinnen befindlichen Bildsäulen betrachten soll, die von keiner sterblichen Hand verfertigt, sondern von dem göttlichen Verstande unseren Sinnen dargestellt worden sind, damit sie uns die unsichtbaren vorstellen sollen: die Sonne, die Sterne, die Wasser und die Erde. Gottes unsichtbares Wesen, sagt der heilige Paulus20, wird an der Schöpfung der Welt ersehen, wenn man seine ewige Weisheit und Gottheit an den Werken wahrnimmt.
Atque adeo faciem coeli non invidet orbi
Ipse Deus, vult usque suos corpusque recludit
Semper voluendo: seque ipsum inculcat et offert,
Ut bene cognosci possit, doceatque videndo
Qualis eat, doceatque suas attendere leges21.
Unsere Vernunft und unsere menschlichen Schlüsse gleichen der trägen und unfruchtbaren Materie; die Gnade Gottes aber ist die Form dazu: diese gibt derselben die Gestalt und den Wert. Die tugendhaften Handlungen des Sokrates und des Cato bleiben eitel und unnütz, weil sie nicht die gehörige Absicht gehabt, weil sie nicht auf die Liebe und den Gehorsam gegen den wahren Schöpfer aller Dinge abgezielt, und weil sie Gott nicht erkannt haben. Ebenso geht es auch mit unseren Einfällen und Schlüssen. Sie haben einen Körper, der aber ein ungestalter Klump ohne Bildung und ohne Licht ist, wenn nicht die Gnade Gottes und der Glaube dazukommen. Also bestärkt und befestigt der Glaube die Beweise des Sebonde, wenn er sie färbt und erleuchtet. Sie können einem Anfänger nützlich sein und zum ersten Führer dienen, damit er den Weg zu dieser Erkenntnis trifft. Sie bereiten ihn einigermaßen vor; und machen ihn der göttlichen Gnade fähig, vermittelst welcher hernach unser Glaube zu seiner Vollkommenheit gelangt. Ich kenne einen angesehenen und gelehrten Mann, welcher mir gestanden hat, daß er vermittelst der Beweise des Sebonde von den Irrtümern des Unglaubens abgebracht worden sei. Und, wenn man sie auch dieser Zierde, der Hilfe und des Beifalles des Glaubens, beraubt, wenn man sie auch als bloß menschliche Einfälle betrachtet, um diejenigen damit zu bestreiten, die in die abscheuliche und schreckliche Finsternis des Unglaubens gefallen sind: so wird man dem ungeacht noch finden, daß sie so gründlich und so stark sind, als keine anderen von eben dieser Gattung, die man ihnen entgegensetzen kann. Auf diese Art können wir also zu unseren Gegnern sagen,
Si melius quid habes, accerse, vel imperium fer22.
Sie müssen entweder die Stärke unserer Beweisgründe gelten lassen, oder uns, anderswo und bei einem anderen, Beweise, die besser zusammenhängen und von besserem Stoffe sind, zeigen. Ich habe mich unvermerkt schon halb auf dem anderen Einwurf eingelassen, welchen ich mir wegen des Sebonde zu beantworten vorgesetzt hatte.
Einige sagen, seine Beweisgründe wären schwach und nicht imstande, dasjenige zu beweisen, was sie beweisen sollen, und rühmen sich, daß sie dieselben leicht über den Haufen werfen wollten. Diesen muß man ein wenig besser zu Leibe gehen: denn, sie sind gefährlicher und boshafter als die ersten. Man bedient sich gerne anderer Leute Worte zur Bestärkung seiner eigenen vorgefaßten Meinungen. Einem Gottesleugner scheinen alle Schriften auf die Gottesleugnung abzuzielen. Er steckt die unschuldigste Materie mit seinem eigenen Gifte an. Diese Leute können wegen ihrer Vorurteile an des Sebonde Gründen keinen Geschmack finden. Übrigens glauben sie, man gäbe ihnen gewonnen Spiel, wenn man ihnen die Freiheit verstattet, unsere Religion mit bloß menschlichen Waffen anzugreifen, welche sie sich in ihrer vollkommen ansehnlichen und gebieterischen Majestät nicht anzutasten getrauen. Das Mittel, welches ich diese Raserei zu dämpfen ergreife und welches ich für das bequemste halte, ist dieses, daß ich den Hochmut und die menschliche Verwegenheit zerschmettere und unter die Füße trete; daß ich ihnen die Nichtigkeit, die Eitelkeit und Geringschätzigkeit des Menschen zeige; daß ich ihnen die elenden Waffen ihrer Vernunft aus den Händen reiße; daß ich sie zwinge, sich vor der göttlichen Majestät gehorsam und ehrerbietig zu bücken und zu Boden zu werfen. Dieser ist ganz allein alle Wissenschaft und Weisheit eigen, diese ganz allein kann sich selbst hochschätzen; und wir entziehen ihr, was wir uns beimessen, und uns herausnehmen23, Οὐ γὰρ ἐᾷ φρονέειν μέγα ὁ θεὸς ἄλλον ἢ ἑωυτόν. Laßt uns diese Einbildung, welche der erste Grund der Tyrannei des bösen Geistes ist, niederschlagen24. Gott widersteht den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade. Die Götter, sagt Plato25, besitzen völligen Verstand, die Menschen aber gar keinen, oder sehr wenig. Inzwischen ist es doch ein großer Trost für einen Christen, wenn er sieht, daß sich unsere sterblichen und vergänglichen Werkzeuge so schön zum Dienste unseres heiligen und göttlichen Glaubens schicken, daß sie nicht einmal mit mehr vereinter und größerer Kraft wirken, wenn man sie bei Dingen gebraucht, die ihrer Natur nach sterblich und vergänglich sind. Laßt uns also sehen, ob der Mensch stärkere Gründe in seiner Gewalt hat, als des Sebonde Gründe sind; ja, ob er durch Gründe und Vernunftschlüsse zu einiger Gewißheit gelangen kann. Der heilige Augustin26 nimmt, wenn er wider diese Leute schreibt, Gelegenheit, ihnen ihre Unbilligkeit zu verweisen, daß sie diejenigen Stücke unseres Glaubens, welche unsere Vernunft nicht erweisen kann, für falsch halten. Er zeigt ihnen, daß viele Dinge sein können und gewesen sind, deren Natur und Ursachen unsere Vernunft nicht ergründen kann; und stellt ihnen gewisse bekannte und ungezweifelte Erfahrungen vor, welche die Menschen ihrem eigenen Geständnisse nach nicht einsehen. Er hat dabei, so wie bei allen anderen Gelegenheiten, eine sorgfältige und sinnreiche Wahl beobachtet. Allein man muß noch mehr tun, und ihnen zeigen, daß man sich, um ihre Vernunft der Schwäche zu überführen, nicht erst lange nach seltenen Beispielen umsehen darf. Man muß ihnen zeigen, daß sie so mangelhaft und so blind ist, daß ihr auch das klarste nicht klar genug ist; daß das leichte und das schwere für sie eines wie das andere ist; daß alle Gegenstände ohne Unterschied, so wie die Natur überhaupt, ihre Herrschaft und Vermittlung nicht erkennen. Was befiehlt uns die Wahrheit, wenn sie uns die weltliche Philosophie zu fliehen befiehlt27; wenn sie uns so oft einschärft28, daß unsere Weisheit für Gott nichts als Torheit ist; daß der Mensch unter allen eiteln Dingen das allereitelste ist; daß der Mensch, der sich etwas auf sein Wissen einbildet, noch nicht einmal weiß, was Wissen ist; und daß der Mensch, der nichts ist, sich selbst betrügt und sich selbst verführt, wenn er sich etwas zu sein einbildet? Diese Aussprüche des Heiligen Geistes drücken das, was ich behaupte, so klar und lebhaft aus, daß ich gar keines anderen Beweises benötigt wäre, wenn ich mit Leuten zu tun hätte, die sich ihm mit aller Demut und allem Gehorsam unterwerfen wollten.
Allein, diese Leute wollen mit ihrer eigenen Rute gepeitscht sein, und wollen ihre Vernunft nicht anders als durch sie selbst bestreiten lassen. Laßt uns demnach gegenwärtig den Menschen ganz allein und für sich, ohne fremde Hilfe, bloß mit seinen eigenen Waffen gerüstet und ohne die Gnade und Erkenntnis Gottes, die alle seine Ehre, alle seine Stärke, ja den Grund seines Wesens ausmacht, betrachten. Laßt uns sehen, wie er sich in dieser schönen Rüstung halten wird. Er zeige mir also durch die Stärke seiner Vernunft, auf was für Grund er diese großen Vorzüge, die er vor den anderen Geschöpfen zu haben denkt, gebaut hat. Wer hat ihn beredet, daß das bewundernswürdige Herumdrehen des Himmelsgewölbes, das ewige Licht der so kühn über seinem Haupte hinlaufenden Fackeln, die furchtbaren Bewegungen des unermeßlichen Meeres bloß zu seiner Bequemlichkeit und zu seinem Dienste gemacht sind und soviele hundert Jahre fortgedauert haben? Kann man sich etwas so Lächerliches einbilden, als dieses, daß sich ein so elendes und armseliges Geschöpf, welches nicht einmal über sich selbst Herr ist und von allen Dingen verletzt werden kann, einen Beherrscher und Regenten der ganzen Welt nennt, von welcher es nicht einmal den geringsten Teil erkennt, geschweige denn regieren kann? Und wer hat denn dem Menschen das Vorrecht gegeben, welches er sich selbst anmaßt, daß er in diesem großen Gebäude ganz allein geschickt sei, desselben Schönheit und Teile zu erkennen, ganz allein geschickt, dem Baumeister dafür Dank zu sagen und von dem Nutzen und Gebrauch der Welt Rechenschaft zu geben? Er muß uns die Bestallung zu diesem wichtigen und großen Amte zeigen. Ist sie nur den Weisen zum besten ausgefertigt worden? Alsdann geht sie wenig Leute an. Sind die Toren und Ruchlosen einer so außerordentlichen Gnade würdig; und verdienen sie, da sie der schlimmste Teil der Welt sind, allen übrigen Teilen vorgezogen zu werden? Wollen wir einem Weltweisen hierinnen glauben29? Quorum igitur causa quis dixerit effectum esse mundum? Eorum scilicet animantium, quae ratione utuntur. Hi sunt dii et homines, quibus profecto nihil est melius. Diese unverschämte Verbindung kann niemals genug belacht werden. Allein, was hat dann der arme Mensch an sich, das eines solchen Vorzuges würdig ist? Man betrachte nur die unverwesliche Dauer der himmlischen Körper, ihre Schönheit, ihre Größe, ihre beständige und so regelmäßige Bewegung
Cum suspicimus magni coetestia mundi
Templa super, stellisque micantibus aethera fixum,
Et venit in mentem Lunae Solisque viarum30.
Man betrachte nur die Herrschaft und Gewalt, welche diese Körper nicht allein über unser Leben und die Glücksgüter, - Facta etenim et vitas hominum suspendit ab astris31 - sondern auch sogar über unsere Neigungen, unsere Schlüsse, und unseren Willen haben; welchen sie durch ihre Einflüsse regieren, antreiben, und bewegen, wie uns unsere Vernunft lehrt, und erkennt:
... Speculataque longe
Deprendit tacitis dominantia legibus astra,
Et totum alterna mundum ratione moveri,
Fatorumque vices certis discernere signis32.
Man gebe nur acht, wie nicht allein ein Mensch, nicht allein ein König, sondern ganze Monarchien, ganze Reiche, durch die geringsten himmlischen Bewegungen in Bewegung gesetzt werden, Quantaque quam parui faciant discrimina motus33; Tantum est hoc regnum quod Regibus imperat ipsis34.
Wenn unsere Tugend, unsere Laster, unsere Geschicklichkeit und Wissenschaft und selbst diese Betrachtung, die wir über die Macht der Sterne anstellen, und die Vergleichung zwischen ihnen und uns, wenn alles dieses, wie unsere Vernunft urteilt, durch ihre Wirkung und Gunst geschieht,
... Furit alter amore,
Et pontum tranare potest et vertere Troiam: