Tellus ipsa parit, naturaque daedala rerum52.
Diese Klagen sind unbegründet. In der Einrichtung der Welt ist mehr Gleichheit und ein besseres Verhältnis beobachtet. Unsere Haut schützt ebenso gut als die Haut der Tiere vor der rauhen Witterung, wie viele Völker bezeugen, die noch bis jetzt keine Kleider tragen. Unsere alten Gallier waren schlecht bekleidet; und unsere Nachbarn, die Irländer, sind es nicht besser, ungeacht sie in einer so kalten Gegend wohnen. Allein, wir können dieses am besten an uns selbst wahrnehmen. Alle Teile unsers Leibes, die wir dem Winde und der Luft aussetzen wollen, finden sich geschickt dieses auszustehen. Wenn einer von unseren Teilen schwach ist und sich dem Ansehen nach vor der Kälte fürchten muß, so ist es der Magen, in welchem die Verdauung geschieht. Allein, unsere Vorfahren trugen denselben entblößt, und unser Frauenzimmer, so weich und zärtlich es auch sonst ist, geht manchmal bis auf den Nabel halb entblößt. Das Binden und Wickeln der Kinder ist ebenso wenig notwendig; und die lakedämonischen Mütter53 erzogen die ihrigen so, daß sie ihnen eine völlig freie Bewegung ihrer Glieder ließen und sie weder banden noch wickelten. Unser Weinen haben die meisten Tiere mit uns gemein, und es sind wenige darunter, die sich nicht lange nach ihrer Geburt noch beklagten und noch seufzten, weil sich dieses Bezeigen sehr wohl zu der Schwachheit schickt, in welcher sie sich befinden. Das Essen ist bei uns sowohl als bei ihnen natürlich und gibt sich ohne Unterricht.
Sentit enim vim quisque suam quam possit abuti54.
Wer zweifelt daran, daß ein Kind, wenn es die Kräfte sich zu ernähren erlangt hat, nicht auch seine Nahrung zu suchen wissen sollte? Die Erde bringt sie hervor und bietet sie ihm auch ungebaut und ohne Zutun der Kunst, so viel es zur Notdurft braucht, reichlich dar. Geschieht dieses gleich nicht zu jeder Zeit, so geht es doch auch bei den Tieren nicht anders; wie der Vorrat zeigt, welchen wir die Ameisen und andere Tiere auf die unfruchtbaren Jahreszeiten sammlen sehen. Diejenigen Völker, die wir erst kürzlich entdeckt haben, und die mit Fleische und natürlichem Trank, ohne daß ihnen dieselben einige Mühe oder Umstände kosten, so überflüssig versehen sind, haben uns gelehrt, daß das Brot nicht unsere einzige Nahrung ausmacht, und daß uns unsere Mutter, die Natur, ohne unsere Arbeit mit allem Benötigten im Überflusse versehen, ja, aller Wahrscheinlichkeit nach weit vollkommener und reichlicher, als sie gegenwärtig tut, da wir unsere Kunst mit eingemischt haben.
Et tellus nitidas fruges vinetaque laeta
Sponte sua primum mortalibus ipsa creavit:
Ipsa dedit dulces foetus, et pabula laeta
Quae nunc vix nostro grandescunt aucta labore,
Conterimusque boves et vires agricolarum55.
Unser ausschweifender und unordentlicher Appetit kommt allen Erfindungen zuvor, dadurch wir ihn zu stillen suchen.
Was die Waffen anbelangt, so haben wir deren mehr von der Natur bekommen, als die meisten anderen Tiere. Wir können unsere Gliedmaßen verschiedentlicher bewegen und brauchen dieselben von Natur und ohne Anweisung besser als sie. Man sieht daß diejenigen, die nackt zu kämpfen gewohnt sind, sich in ebenso große Gefahr wagen als andere. Wenn einige Tiere hierinnen einen Vorzug vor uns haben, so haben wir wiederum einen Vorzug vor vielen anderen. Sogar die Begierde, unseren Leib stark zu machen und durch fremde Hilfe zu bedecken, kommt von einem natürlichen Triebe und Gebote her. Der Elefant schleift seine Zähne, deren er sich im Kriege bedient, denn er hat besondere Zähne hierzu, die er schont, und sonst zu nichts gebraucht. Die Stiere streuen und werfen, wenn sie an den Kampf gehen, Staub um sich herum. Die wilden Schweine schärfen ihr Gewehr. Der Ichneumon verwahrt seinen Körper, wenn er sich an das Krokodill machen will und überzieht und umgibt ihn um und um mit einem festen und zähen Schlamm wie mit einem Kürasse. Warum sollen wir nicht sagen können, daß es uns ebenso natürlich sei, uns mit Holz oder mit Eisen zu bewaffnen? Wenn die Sprache natürlich ist, so ist sie doch gewiß nicht notwendig. Ich glaube indessen, daß ein Kind, wenn es auch in einer vollkommenen Einsamkeit und von aller Gesellschaft entfernt erzogen würde, (welches sich schwerlich möchte versuchen lassen) dennoch eine gewisse Art der Sprache haben würde, wodurch es seine Begriffe ausdrücken könnte. Es ist nicht glaublich, daß uns die Natur dasjenige Mittel sollte entzogen haben, welches sie den meisten anderen Tieren gegeben hat. Denn, was ist das Vermögen sich zu beklagen und sich lustig zu machen, einander zu Hilfe zu rufen, oder zur Liebe zu ermuntern, welches wir sie durch ihre Stimme verrichten sehen, anderes als eine Sprache? Wie sollten sie nicht miteinander selbst reden? Sie reden ja mit uns und wir mit ihnen. Auf wie vielerlei Art reden wir nicht mit unseren Hunden, und auf wie vielerlei Art antworten sie uns nicht wieder? In einer anderen Sprache und mit anderen Worten schwatzen wir mit ihnen, und wieder anders mit den Vögeln, den Schweinen, den Ochsen, den Pferden. Wir ändern unsere Mundart bei jeder Gattung.
Cosi per entro loro schiera bruna
S'ammusa l'una con l'altra formica,
Forse a spiar lor via, et lor fortuna56.
Mich dünkt, Laktanz57 schreibt den Tieren nicht nur eine Sprache, sondern auch sogar ein Lachen zu. Eben der Unterschied der Sprache, der sich nach dem Unterschiede der Gegenden unter uns findet, findet sich auch unter den Tieren von einerlei Art. Artistoteles58 führt hierbei an, daß die Feldhühner, nach der verschiedenen Lage der Örter, auch verschiedentlich schreien.
... variaeque volucres
Longe alias alio iaciunt in tempore voces
Et partim mutant cum tempestatibus una
Raucisonos cantus59.
Allein, die Frage ist, welche Sprache ein Kind unter besagten Umständen reden würde; und dasjenige, was man davon mutmaßt, hat nicht viel Wahrscheinlichkeit.
Will man mir einwenden, daß die Taubgeborenen nicht reden, so antworte ich, daß dieses nicht allein daher kommt, weil sie durch die Ohren keine Anweisung zur Sprache haben bekommen können, sondern vielmehr daher, weil sich das Gehör, dessen sie beraubt sind, auf das Reden bezieht, und weil beides durch eine natürliche Verbindung zusammen hängt. Auf diese Art müssen wir dasjenige, was wir reden, erst zu uns selbst sagen und in unseren Ohren erschallen lassen, ehe es andere vernehmen können.
Ich habe alles dieses zu dem Ende gesagt, um die Gleichheit zu erweisen, die unter den menschlichen Dingen ist, und um uns wieder zu dem großen Haufen zurückzuführen und wieder mit demselben zu vereinigen. Wir sind weder höher, noch niedriger als der übrige Teil. Alles, was unter dem Himmel ist, sagt der Weise, ist einerlei Gesetze, und gleichem Glücke unterworfen.
Indupedita suis fatalibus omnia vinclis60.
Zwar gibt es einen gewissen Unterschied: es gibt Gattungen, es gibt Stufen. Allein, alles steht unter der Aufsicht der einzigen Natur.
Res quaeque suo ritu procedit, et omnes
Foedere naturae certo discrimina servant61.
Man muß den Menschen zwingen, und in den Schranken dieser Ordnung halten. Das elende Geschöpf kann dieselben zwar ohnedem nicht wirklich überschreiten. Es ist ebenso gut gespannt und gefesselt, und ebenso gebunden als die übrigen Geschöpfe von seiner Ordnung; und es befindet sich in einem sehr mittelmäßigen Stande, ohne alle Vorrechte, und ohne einige wahre und wesentliche Vorzüge. Die vermeinten und eingebildeten Vorzüge, die es sich selbst beilegt, sind erdichtet und abgeschmackt. Wenn nun dem also ist, daß der Mensch unter allen Tieren allein eine so freie Einbildungskraft und unordentliche Art zu denken hat, die ihm das, was ist, und das, was nicht ist, was er nur will, das Falsche und das Wahre, vorstellt: so ist dieses ein Vorzug, der ihm teuer zu stehen kommt, und dessen er sich nicht sehr zu rühmen hat. Hieraus entspringt die Hauptquelle der Übel, die ihn drücken, die Sünde, die Krankheit, die Unschlüssigkeit, die Verwirrung, die Verzweifelung.
Ich sage also, um wieder auf mein Vorhaben zu kommen, daß man ohne einen wahrscheinlichen Grund annimmt, die Tiere täten eben das aus einer natürlichen und gezwungenen Neigung, was wir aus eigener Wahl und mit Bedachte vornehmen. Wir müssen aus gleichen Wirkungen auf gleiche Kräfte und aus vollkommeneren Wirkungen auf vollkommenere Kräfte schließen und folglich bekennen, daß sich eben die Vernunft und eben die Art zu verfahren, welche wir beobachten, oder vielleicht eine bessere, auch bei den Tieren findet. Warum bilden wir uns diesen natürlichen Zwang bei ihnen ein, da wir doch keine dergleichen Wirkung davon wahrnehmen? Hierzu kommt noch, daß es weit rühmlicher für ein Wesen ist, wenn es durch eine natürliche und unvermeidliche Bestimmung, und welche der Gottheit näher kommt, ordentlich zu handeln geleitet und verbunden wird, als wenn es nach einer vermessenen und unbestimmten Freiheit ordentlich handelt; und daß es ferner sicherer ist, der Natur, als uns, die Zügel bei unserer Aufführung zu lassen. Unser eitler Hochmut macht, daß wir unsere Geschicklichkeit lieber unseren Kräften als ihrer Freigebigkeit zu danken haben wollen. Wir bereichern die anderen Tiere mit natürlichen Gütern und überlassen sie ihnen, um uns durch erworbene Güter hervor zu tun und zu adeln. Eine große Einfalt, wie mich dünkt! Denn, ich würde mir doch wenigstens ebenso viel auf meine eigentümlichen und natürlichen Reize als auf die erbettelten und gekünstelten einbilden. Wir können uns keinen schöneren Ruhm als diesen erwerben, daß uns Gott und die Natur günstig sind.
Wenn wir also den Fuchs, dessen sich die Einwohner von Thrazien bedienen, wenn sie über einen gefrorenen Fluß setzen wollen, und welchen sie zu diesem Ende vor sich her laufen lassen, wenn wir, sage ich, sähen, daß dieser Fuchs an dem Ufer des Stromes das Ohr sehr nahe an das Eis hielte62 und achtgäbe, ob er das darunter weglaufende Wasser von ferne oder nahe bei sich rauschen hörte, und je nachdem er hierdurch das Eis mehr oder weniger dicke fände, fort oder zurück liefe - würden wir nicht mit Rechte urteilen, daß er ebenso dächte, wie wir in dergleichen Falle denken würden, und daß er natürlich den Schluß und die Folge machte: Was rauscht, das bewegt sich; was sich beweget, ist nicht gefroren; was nicht gefroren ist, ist flüssig; und was flüssig ist, gibt unter der Last nach. Es ist ein Hirngespinst und wir können es uns gar nicht einbilden, daß alles dieses bloß von seinem scharfen Gehör herrühren sollte, ohne daß dabei Schlüsse und Folgen gemacht würden. Ebenso müssen wir von so vielerlei Listen und Erfindungen urteilen, womit sich die Tiere vor unseren Nachstellungen sichern.
Wenn wir uns deswegen einen Vorzug über sie anmaßen wollen, weil wir sie fangen, uns ihrer bedienen und nach unserm Willen mit ihnen umgehen können, so ist dieses kein anderer Vorzug als eben der, welchen wir vor einander selbst haben. Ebenso gehen wir auch mit unseren Sklaven um. Waren denn die Klimaziden63 nicht Weiber in Syrien, die auf alle Viere niederfallen, und den Damen, wenn sie in die Kutsche steigen wollten, zum Fußschemel und zur Leiter dienen mußten? Die meisten freien Leute geben wegen sehr geringer Vorteile ihr Leben und ihr Wesen in anderer Gewalt. Die Weiber und Beischläferinnen der Thracier64 zanken sich darum, welche unter ihnen bei dem Grabe ihres Mannes getötet werden soll. Haben nicht die Tyrannen allezeit Leute genug gefunden, die sich zu ihrem Dienste gewidmet; ungeachtet sich einige noch dieses dabei bedungen, daß sie ihnen sowohl im Tode als im Leben zur Begleitung dienen müßten. Ganze Armeen haben sich hierzu gegen ihre Feldherren verbindlich gemacht. Die Eidesformel in der strengen Schule der Fechter, welche auf Leib und Leben gingen, enthielt folgende Versprechungen65: Wir schwören, daß wir uns in Banden legen, brennen, schlagen, mit dem Schwert töten lassen und alles leiden wollen, was rechtschaffene Fechter von ihrem Herrn leiden müssen; und widmen unseren Leib und unser Leben sehr heilig zu seinem Dienste.
Ure meum si vis flamma caput, et pete ferro
Corpus, et intorto verbere terga seca66.
Dieses war eine harte Verbindung, und dennoch fanden sich manches Jahr bei zehntausend, welche sie eingingen und darüber ihr Leben einbüßten. Wenn die Skythen ihren König begruben, erwürgten sie zugleich über seinem Leichname seine liebste Beischläferin, seinen Mundschenken, seinen Stallmeister, seinen Kämmerling, den Türhüter an seinem Gemache und seinen Koch. An dem jährlichen Gedächtnistage aber brachten sie fünfzig Pferde um, auf welchen fünfzig Pagen ritten, die sie durch das Rückgrat bis an die Kehle spießten und so zur Schau um sein Grab herum stellten.
Die Menschen, die uns bedienen, kosten uns nicht so viel und dürfen nicht so sorgfältig und so gut verpflegt werden als die Vögel, Pferde und Hunde. Wie sehr nehmen wir sie nicht in acht? Ich glaube nicht, daß die geringsten Bedienten ihren Herren dasjenige gerne tun, was Fürsten an diesen Tieren tun und sich noch viel damit wissen. Als Diogenes sah, daß sich seine Anverwandten bemühten, ihn wieder aus der Knechtschaft loszukaufen, sagte er: Sie sind Toren, derjenige, welcher mich verpflegt und ernähret, dient mir67. Also sollten diejenigen, welche die Tiere unterhalten, vielmehr sagen, daß sie den Tieren dienten, als daß sie von denselben bedient würden. Außerdem sind sie noch so großmütig, daß sich niemals ein Löwe einem anderen Löwen, oder ein Pferd einem anderen Pferde aus Niederträchtigkeit unterwirft. Gleich wie wir, die Tiere zu fangen, auf die Jagd gehen, so gehen auch die Tiger und die Löwen auf die Jagd, um Menschen zu fangen. Ja, sie tun dieses auch auf einander selbst: die Hunde auf die Hasen, die Hechte auf die Pletzen, die Schwalben auf die Heuschrecken, die Sperber auf die Amseln und Lerchen.
Serpente ciconia pullos
Nutrit, et inventa per devia rura lacerta:
Et leporem aut capream famulae
Jovis, et generosae
In saltu venantur aves68.
Wir teilen unser Wildpret, ebenso wie die Mühe und Arbeit, mit unseren Hunden und Vögeln. Und bei Amphipolis in Thrazien69 teilen die Jäger und ihre wilde Falken das Wildpret gerad halb miteinander, ebenso wie an dem Mäotischen Sumpfe70 die Wölfe, wenn ihnen der Fischer nicht den halben Teil seines Zugs redlich läßt, augenblicklich seine Netze zerreißen.